A 009/21 – Multiresistente Keime: One-Health Ansatz für eine lebenswerte Gesundheitsversorgung

Antragsteller: LAK Gesundheit & Innovation

 

Der Landeskongress möge beschließen:

 

Seit der Markteinführung des Penicillins 1942 sind Antibiotika aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Sie ermöglichen die Behandlung von bakteriellen Infektionen, die viele Erkrankungen auslösen, die bis zum Tod führen können. Trotz der damaligen Relevanz des Penicillins ist es heutzutage schon fast nutzlos. Ein natürlicher Prozess, die Evolution, führt zur Bildung von Resistenzen. Die Antibiotika werden bei den Bakterien wirkungslos. Neben der eigenen Resistenzbildung können resistente Bakterien ihre Resistenzen über horizontalen Gentransfer an weitere Bakterien weitergeben. Hierdurch können immense Mengen an Bakterien entstehen, deren Infektionen nicht behandelbar sind, da Antibiotika momentan die einzige Behandlungsmöglichkeit für bakterielle Infektionen darstellen.In Anbetracht der Dauer des Entwicklungs- und Zulassungsprozesses eines neuen Arzneimittels und der Entwicklungen der Resistenzen, welche bei gleichbleibenden Bedingungen zu 10 Millionen Todesfällen durch Multiresistente Erreger im Jahr 2050 führen werden, besteht dringender Handlungsbedarf.Um dieser Entwicklung sinnvoll entgegenzutreten, ist eine umfassende Strategie notwendig, die unter anderem die Bereiche Umwelt, Humanmedizin und Veterinärmedizin/Tierhaltung umfasst. Um eine ausreichende medizinische Versorgung langfristig sicherstellen zu können fordern wir:

1) Umwelt

Seit 1940 hat sich die Anzahl antibiotikaresistenter Erreger in der Umwelt um den Faktor 15 erhöht . Neben der Gefahr resistenter, obligat pathogener Erreger, können auch fakultativ pathogene Erreger ihre Resistenzgene an andere Bakterien weitergeben und dadurch das Risiko einer behandlungsresistenten Infektion erhöhen. Neben schon resistenten Erregern in der Umwelt fördern Mikroverunreinigungen mit Antibiotika die Entwicklung von Resistenzen. Um die Anzahl resistenter Bakterien in der Umwelt zu verringern, fordern wir:

Ein systematisches Monitoring von Antibiotika in der Umwelt, aufgeschlüsselt nach Orten und Wirkstoffen. Speziell zu betrachten sind Oberflächengewässer und Gewässer, die der Trinkwassergewinnung dienen.

Eine verpflichtende Weiterbildung aller Beteiligten über korrekte Antibiotikaentsorgung. Als Beteiligte sind alle Berufsgruppen gemeint, die während ihrer Arbeitszeit mit Antibiotika und deren Entsorgung konfrontiert sind.

Die Stärkung des wissenschaftlichen Ausschusses „Gesundheits- und Umweltrisiken“. Dieser soll regelmäßig aktuelle Strategien bezüglich Antibiotika und Resistenzen überprüfen und bewerten, sowie neue Strategien beziehungsweise Ergänzungen erarbeiten.

2) Kläranlagen

In Kläranlagen sammeln sich Verunreinigungen des Abwassers und der Klärschlamm enthält diverse Bakterienkulturen. Neben der Möglichkeit, dass durch Antibiotika in Abwässern die normalen Klärbakterien Resistenzen entwickeln und weitergeben, können sich fäkal ausgeschiedene resistente Bakterien stark vermehren, und je nach Verwendung des Klärschlammes und des Klärwassers können sowohl Antibiotika als auch resistente Erreger in der Umwelt verbreitet werden. Um die dadurch potenziell entstehenden Gefahren zu reduzieren, fordern wir:

– Richtwerte für Antibiotika und resistente Erreger sowie Resistenzgene/-plasmide sowohl für Klärschlamm als auch für Klärwasser. Die Richtwerte der Antibiotika sollen sich nach einzelnen Substanzen richten und das spezifische Gefährdungspotential berücksichtigen.

Ein Verbot der Ausbringung von Klärschlamm, welcher die Richtwerte überschreitet. Die Nutzung des Klärschlammes zur Phosphatrückgewinnung soll gefördert werden.

Ein bundesweites Förderprogramm zur Erweiterung/Modernisierung der Kläranlagen, welche Abwässer von gesundheitlichen Einrichtungen aufreinigen. Besonders für die Aufreinigung von Mikroverunreinigungen  bzw. Bekämpfung von Erregern.

Eine Verpflichtung, Messdaten über Antibiotikakonzentrationen in Kläranlagenzuläufen zu sammeln und öffentlich zur Verfügung zu stellen. Basierend darauf sollen Hauptverursacher von Antibiotika in Abwässern ermittelt und Lösungskonzepte entwickelt werden.

3) Gülle/Landwirtschaft

Neben Kläranlagen kann auch durch die Nutzung von Gülle eine Kontamination der Umwelt mit resistenten Erregern und Antibiotika erfolgen. Diese stammen aus den Ausscheidungen mit Antibiotika behandelter Tiere. Um dies zu reduzieren, fordern wir:

– Grenzwerte für Antibiotika, die in Gülle enthalten sein dürfen. Hierzu soll die Antibiotikaanwendung an Tieren während eines Gülleproduktionszeitraumes dokumentiert und in einem Güllelieferschein zusammengefasst werden. Neben der Antibiotikaanwendung soll auch die Verwendung von mit Zink und Kupfer angereicherten Nahrungsmitteln und die Menge des Zinks und Kupfers dokumentiert und in den Lieferschein inkludiert werden.

Bei Überschreitung der Grenzwerte muss die Gülle sachgerecht entsorgt werden, mit Sicherstellung dass keine Erreger/multiresistenten Keimen in die Umwelt gelangen.

Eine Verschärfung der Düngegesetzgebung sowie eine Förderung bedarfsgerechter Düngung.

4) Antibiotikaproduktion

Aufgrund der großen Zeitspanne, innerhalb derer Antibiotika und diese enthaltende Arzneimittel entwickelt und zugelassen wurden, gibt es nicht bei allen Umweltbewertungen und Umweltqualitätsnormen. Dazu kommt eine signifikante Umweltbelastung durch die Produktion beziehungsweise nicht sachgemäße Entsorgung von Abfällen während dieser.Um gleiche Rahmenbedingungen für alle Antibiotika zu schaffen, und um die Belastung der Umwelt durch Produktionsbedingte Prozesse zu reduzieren, fordern wir:

– Eine nachträgliche Umweltbewertung für alle Antibiotika, für die keine vorliegt.

Rechtsverbindliche Umweltqualitätsnormen für alle Antibiotika.

Ein Register, in welches sich Antibiotika-Hersteller eintragen müssen. Dies soll zusammen mit dem systematischen Monitoring der Umweltbelastung durch Antibiotika genutzt werden, um Verursacher ausfindig zu machen. Die Verursacher der Verunreinigungen sollen diese wieder beheben und haftbar gemacht werden.

Internationale Anstrengungen, Umweltverschmutzungen durch Antibiotika zu reduzieren. Diese sollen durch sinnvolle Implementierungen von Forderungen in Freihandelsabkommen und Entwicklungshilfeprogramme durchgesetzt werden. Besonderer Fokus soll hier auf Länder gelegt werden, die Antibiotika in großen Mengen produzieren.

5) Veterinärmedizin / Tierhaltung

Neben der Anwendung in der Humanmedizin, finden Antibiotika auch noch Anwendung in der Veterinärmedizin. Durch unsachgemäße Verwendung entstehen multiresistente Keime, die durch tierische Ausscheidungen und Verwendung des Tierfleisches als Nahrungsmittel auch den Menschen belasten können. Um die Bildung multi-resistenter Keime in der Tierhaltung und die Kontamination von Nahrungsmitteln mit multiresistenten Keimen zu reduzieren, fordern wir:

– Ein Verbot von Reserveantibiotika in der Tierhaltung. Hierdurch wird die Bildung von Erregern, die gegen Reserveantibiotika resistent sind, reduziert und die Behandelbarkeit von Infektionen bei Menschen besser sichergestellt.

Mehr Aufklärung über Hygiene- und Infektionsprävention-/-kontrollmaßnahmen in der Veterinärmedizin Tierhaltung.

Kontrolle von Fleisch auf multiresistente Erreger. Hierzu soll eine Liste von Keimen angefertigt werden, die nicht in Nahrungsmitteln vorkommen darf. Der Verkauf sowie die Einfuhr von solchen Fleisch soll auf Ebene der Tierhalter oder Schlachthöfe verboten werden.

Kontrolle von Fleisch auf Reserveantibiotika und Festlegung von Grenzwerten. Bei Überschreitung soll der Verkauf/die Einfuhr des Fleisches verboten werden.

Eine verpflichtende Kennzeichnung von Haltebedingungen für alle tierischen Produkte, insbesondere hochverarbeitete. Kombiniert mit einer Aufklärung über den Kausalzusammenhang zwischen Haltungsbedingungen und Antibiotika-/genereller Arzneimittelanwendung soll den Konsumenten so erleichtert werden, eine mündige Entscheidung beim Fleischkauf zu treffen.

6) Humanmedizin

Antibiotika werden, verständlicherweise, sehr häufig in der Humanmedizin verwendet. Neben der indizierten Anwendung bei bakteriellen Infektionen werden sie jedoch auch häufig bei anderen Erkrankungen und auch bei nicht dringender Notwendigkeit angewendet und verordnet. Dieser unsachgemäße Gebrauch fördert die Bildung von resistenten und multiresistenten Keimen. Um dies zu verringern, fordern wir:

– Eine Regulierung der Antibiotikaverordnung. Antibiotika sollen, sofern nicht medizinisch notwendig, um bleibende Schäden oder gar Tod abzuwenden, nur noch nach einer mikrobiologischen Testung, welche sowohl Bakterienart als auch schon vorhandene Resistenzen umfasst, verordnet werden dürfen. Die Anwendung von Breitbandantibiotika soll auf das absolut notwendige Minimum reduziert werden. Um dies zu ermöglichen, sollen hinreichende Verfahren zur Erregeridentifizierung und Resistenztestung in den Gebührenkatalog aufgenommen und extrabudgetär ermöglicht werden.

Mehr Aufklärung über Hygienemaßnahmen in der Humanmedizin. Neben möglichen Hygienemaßnahmen für Arztpraxen und Krankenhäuser soll zudem die Bevölkerung über Hygienemaßnahmen aufgeklärt werden. Erweiterungen und Modernisierungen von Arztpraxen sollen subventioniert werden, sofern diese zu einem sinnvollen Hygienekonzept beitragen.

Die Sammlung von Hygienekonzepten der Arztpraxen und Krankenhäuser Deutschlands. Informationen über diese sollen einfach zugänglich veröffentlicht werden, sofern möglich inklusive einer Bewertung der Konzepte. Dies erleichtert einen Vergleich und regt Krankenhäuser und Arztpraxen an, ihre Konzepte zu verbessern.

Verpflichtende Fortbildungsveranstaltungen über Infektionsprävention und -kontrolle für Gesundheitspersonal. Dieses soll das darin erlernte Wissen an Patienten weitergeben, um diesen ein sinnvolleres Verhalten bei Erkrankung zu erleichtern. Auf Krankenhausstationen soll mindestens ein Arzt verantwortlich für das Themengebiet Antibiotic Stewardship sein und das Personal darüber beraten. Auf beiden Gebieten sollen regelmäßige Weiterbildungen verpflichtend sein.

7) Weiteres

Neben den oben genannten Punkten sind noch weitere Umsetzungen notwendig. Dazu fordern wir:

– Mehr Forschung für neue Antibiotika und Phagentherapie. Es ist abzuwägen, mehr Fördermittel zur Verfügung zu stellen oder ein getrenntes Institut, zumindest für Phagentherapie, zu gründen. Zudem sollen Fördermittel zur EU-Zulassung von schon außerhalb der EU angewandten Phagentherapien zur Verfügung gestellt werden.

Eine verpflichtende Teilnahme an dem Antibiotika Resistenz Surveillance Programm für Krankenhäuser oder die für sie zuständigen Labore. Hierdurch soll eine repräsentative Datensammlung über das Vorkommen multiresistenter Keime ermöglicht werden

Statistiken über Antibiotikaabgaben, aufgeschlüsselt nach Ort und Indikation. Die Datensammlung soll primär über Apotheken stattfinden. Eine Schnittstelle für einfache digitale Datensammlung ist zu schaffen, um die Apotheken nicht unnötig zu belasten. Auf Datenschutz und Anonymität der Patienten ist zu achten.

– Ausführliche Datensammlung über Antibiotikaverschreibungen bei Tieren. Darauf basierend sollen neue Strategien zur Reduktion des Antibiotikagebrauchs in der Veterinärmedizin entwickelt werden.

Schulungen von (Tier-)Ärzten, Apothekern, Landwirten und Patienten über sachgemäßen Antibiotikagebrauch. Die Beratung von Patienten in der Apotheke bei Antibiotikaverschreibung soll verbessert werden. Zudem soll die Wirkweise und Auswirkung des Antibiotikagebrauchs in Lehrpläne in passende Fächern derart integriert werden, dass für alle Schüler ein Kontakt zu der Thematik geschaffen wird.

Die Hinarbeitung auf die Umsetzung aller dieser Punkte sowohl auf EU- als auch auf außereuropäischer, internationaler Ebene.