SPolG


Das SpolG, das SPolDVG und eine Verfassungsbeschwerde

– Eine wahre Geschichte der Jungen Liberalen Saarland –


Eine JI-Richtlinie der europäischen Union aus 2016 sollte neue, einheitliche Maßstäbe für den Umgang mit Daten für Behörden setzen. Das Saarland bildete das Schlusslicht bei der Umsetzung dieser Richtlinie mit einer Verspätung von 2 Jahren. Im Jahr 2020 nahm ein Gesetzgebungsverfahren schnell Fahrt auf, dass wir Junge Liberale Saarland akribisch verfolgt, die ersten Entwürfe analysiert und nach rechtlicher Würdigung des Gesetzestextes und seiner Begründung eine eigene Bewertung verfasst. Wir haben haufenweise Urteile, Kommentare und Handbücher durchstöbert und wollten vor allem schnell mit den Expertinnen und Experten aus der Praxis sprechen. Wir haben also unsere Bedenken mit Polizistinnen und Polizisten im Saarland diskutiert, damit wir alle möglichen Blickwinkel berücksichtigen können und nicht Gefahr zu laufen, voreingenommen “ins Blaue” zu argumentieren. Im Wesentlichen haben wir gleich zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens zu den nachfolgenden Punkten die folgenden Erwägungen getroffen:

“DATENSCHUTZ”

Ein starker Rechtsstaat lebt von einem Gleichgewicht der Gewaltenteilung. Die europäische Richtlinie, die es mit diesem Gesetz umzusetzen gilt, stellt selbst klare Anforderungen an den Datenschutz. Der Gesetzgeber machte bereits mit dem ersten Entwurf seine Intentionen deutlich, diesen Schutzmechanismus durch eigene Hürden zu lockern.

Wir sind im Vorfeld durch die Kritik des unabhängigen Datenschutzzentrums betreffend die Verarbeitung von Videomaterial aufmerksam geworden und fordern nicht nur rote Linien, sondern rechtlich eindeutige Leitplanken bei Verstößen. Die Aufsichtsbehörde muss lückenlos ihrer Arbeit nachgehen können und das verfassungsmäßige Recht des Bürgers auf effektiven Rechtsschutz und ein faires Verfahren muss zu jeder Zeit gewährleistet sein.

“QUELLEN-TELEKOMMUNIKATIONSÜBERWACHUNG”

Mit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung in ihrer aktuellen Form hat der saarländische Gesetzgeber den Behörden einen Freifahrtschein für staatliches Hacking erteilt.

Wir haben uns sofort folgende Fragen gestellt:

Kann man wirklich mehr Sicherheit garantieren, wenn man gleichzeitig die Sicherheit der IT-Infrastruktur nachhaltig schädigt? Und will man den Behörden wirklich ein Programm zumuten, dass Kriminelle gleichermaßen nutzen? Und warum wartet der Gesetzgeber nicht auf die Urteile der anhängigen Verfassungsbeschwerden? Der Gesetzgeber gibt mit seiner Gesetzesbegründung keine Antworten auf diese Fragen. Wir haben weit höhere Ansprüche an das Gesetz und fordern daher eine wesentliche Anpassung der Norm vor der aktuellen Einführung einer Quellen-TKÜ.

“BODYCAMS IN WOHNUNGEN”

Die Behörden durften bisher nur in der Öffentlichkeit eine Bodycam tragen und für Videoaufnahmen benutzen. Der Gesetzgeber hat nunmehr mit §32 SPolDVG-E eine Grundlage für Aufnahmen in Wohnungen geschaffen. Die Begründungen für eine Rechtfertigung einer solchen Grundlage sind wissenschaftlich nicht erwiesen. Mehrere Gutachten kommen sogar zu dem Ergebnis, dass eine solche Grundlage nicht in Einklang mit unserer Verfassung ist.

Auch wir sehen in der Erhebung und Verwendung von Videomaterial aus Privatwohnungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG und fordern daher einen Verzicht auf die Norm.

„FUßFESSEL“

Auch bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung fehlt uns eine umfassende und kritische Auseinandersetzung mit grundlegenden, verfassungsrechtlichen Prinzipien. Eine nur “technisch mögliche” Erklärung, dass eine Dauerobservierung auch innerhalb von Privatwohnungen nicht stattfinden soll, wird insbesondere den Anforderungen an das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht gerecht.

Wir sehen in der vorliegenden Form des Gesetzestextes eine lediglich symbolpolitische Maßnahme und verlangen vorher eine weitere Betrachtung von wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Folglich fordern wir eine Anpassung der Norm zu Gunsten der Verfassung.


Nach einer umfangreichen Auswertung mehrerer Gutachten & nach der Lektüre von unzähligen Urteilen und unzähligen Seiten in juristischen Kommentaren und Zeitschriften konnten wir besonders bei der Quellen-Telekommunikationsüberwachung Fallkonstellationen entwickeln, in denen die Verfassungsmäßigkeit der Maßnahme unter Anwendung des Gesetzestextes unserer Auffasung nach zumindest zweifelhaft war.

Für uns war dieser Umstand sogar besonders brisant. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ist ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre und die Besonderheit bei dieser Maßnahme ist, dass es sich dabei um eine heimliche Maßnahme handelt. Man könnte dementsprechend über mehrere Monate Betroffener sein, ohne es direkt zu merken. Da wir schon zu diesem Zeitpunkt Mitglieder hatten, die Mitarbeiter in der Verwaltung und in einer Kanzlei für Asyl- und Migrationsrecht sind, konnten wir einen (unbewussten) Kontakt zu potenziellen Gefährdern nicht ausschließen. Mit dieser Tatsache könnten wir selbst Ziel dieser Maßnahme: Also waren wir selbst (potenziell) Betroffene. Eine Einigung zur Verabschiedung des Gesetzes rückte Ende 2020 auch mit rasantem Tempo näher. So entstand bei uns eine theoretische Idee, die wir schnell in die Praxis umsetzten. Wir haben die Möglichkeiten geprüft, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben, um das Gesetz im Falle seiner Verabschiedung ohne vorherige Anpassung auf seine Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und auch den Polizistinnen und Polizisten damit eine Anwendungssicherheit zu ermöglichen. Wir hätten gerne mehr Zeit gehabt, da wir nur in unserer Freizeit nach Feierabend damit beschäftigen konnten und auf uns alleine gestellt sind. Aber wir sind motiviert!


UPDATE: Mit Stimmenmehrheit durch CDU, SPD und AfD wird das Gesetz verabschiedet! Wir prüfen Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof des Saarlandes!

Der saarländische Landtag hat am Mittwoch, dem 06.10.2021, über die Polizeireform entschieden!

Trotz heftiger Kritik an dem Gesetzesvorhaben und vieler ungeklärter Fragen hat sich die Landesregierung überraschend geeinigt. Was nun als moderne Polizeireform angepriesen werden soll, ist unter dem Strich ein schlechter Kompromiss, der nach unserer Auffassung weder der Sicherheit unserer Mitbürger dient, noch den Behörden als Werkzeug für effektive Polizeiarbeit dienen wird. Inzwischen haben wir uns immer intensiver mit den neuen Maßnahmen beschäftigt. Für den bisherigen Dialog und den sachlichen Informationsaustausch waren wir sehr dankbar, sodass wir uns in der Position befanden, die Lage objektiv zu betrachten. Jetzt geht’s los, jetzt wird’s ernst: Wir prüfen wir Verfassungsbeschwerde zum SVerfGH und zum BVerfG!


UPDATE: WIR STARTEN DIE AKTION “SPolDVGeht’sNoch?”

Mit dieser Aktion wollen wir auf die Komplexität des Themas aufmerksam machen und Bürgerinnen und Bürgern im Saarland die Problematik näher bringen, damit alle ein Verständnis für die Tragweite dieser Entscheidung bekommen. Diese Aktion wollten wir mit einem guten Zweck verbinden: Zur Veranschaulichung haben wir eine Hundehütte erworben und diese in der Bahnhofstraße aufgebaut. Die Verfassung bildet das Fundament, wie es auch der Boden der Hundehütte tut. Das Gesetz baut darauf auf und soll einen effizienten und bestenfalls gemütlichen Raum bieten. Je besser alles verschraubt ist, desto sicherer steht die Hütte. Die Hundehütte haben wir nach ihrem Aufbau einem Saarbrücker Tierheim gespendet.


UPDATE: Inkrafttreten des Gesetzes

Am 31.12.2020 tritt das Saarländische Polizeidatenverarbeitungsgesetz (SPolDVG) in Kraft. Wir sind ready.


UPDATE: Am 01.01.2021 haben wir Verfassungsbeschwerde zum SVerfGH erhoben

Am 01.01.2021, einen Tag nach dem Inkrafttreten des Gesetzes, haben die Jungen Liberalen Saarland Verfassungsbeschwerde gegen die Maßnahme der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (§ 35 SPolDVG) zum Verfassungsgerichtshof des Saarlandes erhoben. Die Verfassungsbeschwerde ist vor dem SVerfGH anhängig unter dem Aktenzeichen “Lv 1 /21”.


UPDATE: Regierung des Saarlandes bestellt Verfahrensbevollmächtigten – Stellungnahme

Vor Fristablauf bestellt die Regierung des Saarlandes einen Verfahrensbevollmächtigten und bewertet unsere Verfassungsbeschwerde als grundsätzlich zulässig (mit der Ausnahme des Verbandes als Verfahrensbevollmächtigten), jedoch im Wesentlichen unbegründet. Die Maßnahmen aus § 35 SPolDVG hielten nach Auffassung der Regierung des Saarlandes einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Unsere geäußerten Zweifel seien nicht begründet, die Kritik nicht substanziell. Die Regierung des Saarlandes bezweifelt, dass sich juristische Personen (wir als Personenvereinigung) überhaupt auf das Recht auf Datenschutz aus Art. 2 SVerf berufen können.


UPDATE: Erweiterte Stellungnahme der Jungen Liberalen

In einer erweiterten Stellungnahme gehen wir auf die Kritikpunkte der Regierung des Saarlandes ein und tragen nunmehr insgesamt 70 Seiten zur Begründetheit vor. Wir kritisieren insbesondere einen ausufernden Adressatenkreis der potenziell Betroffenen (zu viele potenziell Betroffene einer Infiltration), gleichzeitig die unverhältnismäßige Einschränkung des Personenkreises im Rahmen der Datenschutz-Folgeabwägung (zu geringe Hürden für die Infiltration), die “vorbeugende Bekämpfung von Straftaten” als Teil der Strafverfolgungsvorsorge statt Teil der präventiven Gefahrenabwehr mit Verweis auf einschlägige Normen aus dem SPolG sowie eine redaktionell fehlerbehaftete Normverweisung auf die StPO. Derzeit warten wir auf ein noch nicht veröffentlichtes Anhörungsprotokoll. Ungeachtet des Verfahrensausgangs werden wir in diesem Zusammenhang Klarheit und Rechtssicherheit über die Datenverarbeitung gewinnen können und blicken insofern sehr gespannt dem Ergebnis entgegen.


UPDATE: Wir kommen dem Ende entgegen

Wir schreiben bereits das Jahr 2022! Über ein Jahr lang ist unsere Verfassungsbeschwerde nunmehr anhängig. Unsere Akte umfasst mittlerweile nach allen Informationen und nach (später) Übersendung des Anhörungsprotokolls durch die Regierung des Saarlandes ein paar hundert Seiten. Wegen der Erkrankung von Richterinnen und Richtern wird der Verkündungstermin verschoben. Wir sind wirklich unfassbar gespannt, wie es im Ergebnis ausgeht und das gesamte Verfahren ist sehr erfrischend!


UPDATE: BESCHLUSS IM NAMEN DES VOLKES

WOW! Uns ist nun im April 2022 ein Beschluss zugegangen! Unsere Verfassungsbeschwerde ist zulässig, im Wesentlichen jedoch unbegründet. Was bedeutet das im Ergebnis und warum freuen wir uns darüber? Ganz einfach: Es bringt uns schonmal die Gewissheit, dass wir es hier mit einem grundsätzlich verfassungskonformen Gesetz zu tun. Als potenziell Betroffene ist das erstmal eine sehr erfreuliche Nachricht. Und es kommt noch viel besser!


DAS HIGHLIGHT

Wir haben an mehreren Streitpunkten eine richterliche Klarstellung erzielen können!!! What? Juristische Personen können sich natürlich unter gewissen Umständen auf das verfassungsmäßige Recht auf Datenschutz aus Art. 2 SVerf berufen. Der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes bestätigte hier unsere Rechtsauffassung! Der absolute Wahnsinn! Es folgte auch eine deutliche Klarstellung, dass das Abhören oder Ausspähen solcher Menschen nur dann erlaubt ist, wenn ein deutlicher Bezug zum Gefährder oder zu der aufzuklärenden Gefahr gegeben ist und die Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Aufklärung beiträgt. Das ist ein sehr guter Prüfungsmaßstab. Dass wir damit erfolgreich sein konnten ist ein absolutes Highlight, denn es bedeutet auch, dass wir aus der außerparlamentarischen Opposition heraus im Saarland auch auf politischer Ebene etwas bewegen konnten. Dieser Beschluss entfaltet seine Wirkung in das ganze Bundesland. Das freut uns extrem und macht Lust auf mehr!


Das SPolG, SPolDVG und eine Verfassungsbeschwerde der Jungen Liberalen Saarland
True Story: Das SPolG, SPolDVG und eine Verfassungsbeschwerde der Jungen Liberalen Saarland